Im Gespräch mit der Künstlerin Monika Sieveking
Mit Strenge, Neugier und Humor: 17 Jahre Mal-Workshop
Sie ist eine der Personen, die die mund- und fußmalenden Künstler*innen in den vergangenen beiden Jahrzehnten besonders geprägt haben: Die unermüdliche und leidenschaftliche Berliner Künstlerin und Mallehrerin Monika Sieveking. Immer noch unterrichtend, schaut sie mit 81 Jahren auf ihre Zeit mit den Künstlerinnen und Künstlern zurück und erzählt uns, was sie bewegte, überraschte, und welche Momente ihr beinahe schmerzlich in Erinnerung geblieben sind.
Frau Sieveking, wie lange haben Sie den Workshop der mund- und fußmalenden Künstler*innen geleitet?
Etwa 17 Jahre lang.
Wie kam die Zusammenarbeit seinerzeit zustande?
Die ersten Workshops fanden in einer Galerie in Potsdam statt, umgeben von einem wilden, ja nahezu malerischen Garten. Mein Galerist, Herr Oswald, wusste, dass ich Schüler und auch Erwachsene unterrichte, weshalb er mir angeboten hat, dort zu malen, was ich gerne angenommen habe.
Sie sind selbst eine renommierte Malerin und Zeichnerin – wie hat Ihre eigene künstlerische Praxis Ihre Arbeit als Leiterin des Workshops für die mund- und fußmalenden Künstler*innen beeinflusst?
Seit meinem sechsjährigen Studium an der Hochschule für bildende Künste Berlin male ich sehr intensiv, also seit ungefähr 60 Jahren: Ich habe Erfahrung mit dem Handwerk, den Materialien und damit, kreativ zu arbeiten. Das kann ich auch gut vermitteln, weil es mir wichtig ist, aus meiner Arbeit kein mystisches Geheimnis zu machen, sondern mein Wissen weiterzugeben. Ich bin neugierig auf Menschen und darauf, selbst dazuzulernen.
Wie sind Sie an die Rolle als Workshop-Leiterin herangegangen?
Mir war es wichtig, auf die besonderen Anforderungen von körperlich eingeschränkten Künstlerinnen und Künstlern einzugehen: auf ihre individuellen Persönlichkeiten und ihr Können, aber auch auf ihre Schwierigkeiten.
Wie haben Sie sich jeweils vorbereitet – wie haben Sie den Workshop inhaltlich und organisatorisch geplant?
Meine Vorbereitung begann schon bei jedem vorangegangenen Treffen. So konnte ich mich ganz auf die jede und jeden Einzelnen konzentrieren, auf die Stärken und auf das, was noch fehlte und gefördert werden konnte, auf das Thema des Workshops und allerlei Hand-, Mund- und Fußwerkliches. Für jeden Workshop habe ich zum Beispiel Fotos von Reisen ausgewählt, die ich extra dafür gemacht hatte. Im Rollstuhl ist es nämlich nicht so leicht, im Freien oder vor Ort zu malen. Manchmal habe ich auch zum Thema passende Stillleben aufgebaut und dafür kistenweise Utensilien nach Potsdam gebracht – die Künstlerinnen und Künstler kannten irgendwann meinen gesamten Hausstand. Außerdem habe ich mich kunsthistorisch vorbereitet und zum jeweiligen Thema – zum Beispiel zur Perspektive oder Ähnlichem – in unzähligen Büchern recherchiert und Inhalte kopiert. Denn bei jedem Workshop war zu Beginn ein Vortrag und am Ende die Besprechung der Bilder vorgesehen.
Wie haben Sie Ihre Themenstellungen ausgewählt?
Die Themen ergaben sich aus den von mir beobachteten Bedürfnissen. Im Fokus standen der Umgang mit Farbe, der Bildaufbau, der schöpferische Umgang mit Fotovorlagen und vieles mehr. Manchmal wurden jedoch auch Vorschläge gemacht: So hatte Selma zum Beispiel die Idee, dass alle Teilnehmenden das gleiche Foto malerisch interpretieren sollten. Den Vorschlag habe ich bei meinem letzten Workshop 2024 aufgegriffen.
Wie haben Sie den Umgang mit den mund- und fußmalenden Künstler*innen gestaltet?
In den vielen Jahren haben wir uns natürlich näher kennengelernt, übrigens auch die Assistent*innen, dabei hatte jeder seinen Lieblingsplatz. Der Aufbau des Arbeitsplatzes war sehr wichtig und auch inspirierend, weil dort so ideenreich mit den technischen Beschränkungen umgegangen wurde. Ich denke da zum Beispiel an den extra langen Pinsel von Thomas, so etwas schafft auch Atmosphäre. Ebenso prägend für mich war die Intensität des Arbeitens, der Ernst dabei. Gleichzeitig gab es auch komische Momente, die uns amüsierten. Lars brachte es zum Beispiel immer wieder hin, dass ich ganz schwierige Stellen für ihn malte. ‚Ich gucke zu und lerne, gell?‘, sagte er dabei lächelnd. Wir kannten mit der Zeit unsere liebenswerten Schwächen. Bei mir war es wohl meine Strenge, die sehr berüchtigt war. Aber auch, dass ich überall nach meiner Teetasse suchte. Deutlich in Erinnerung geblieben, ist mir auch meine Atemlosigkeit, als ich hinter Renates Staffelei stand und ihre Spastik quer über das zarte Stillleben, das ihr so gut gelungen war, einen heftigen Pinselstrich wischte. Während des gesamten Malprozesses von Jeder und Jedem habe ich mitgefiebert – bei den gelungenen Schritten und auch bei den weniger gelungenen.
Haben Sie im Verlauf der Jahre Entwicklungen oder Fortschritte bei den Teilnehmenden beobachtet? Welche Erfahrungen waren für Sie besonders bemerkenswert?
Mit jährlichem Abstand konnte ich sehr gut beobachten, wie sie sich individuell weiterentwickelt haben. Denn: Es war mir sehr wichtig, besonders ihre Stärken zu fördern und ihnen diese nahezulegen. Die monumentale Art von Antje, Stillleben zu gestalten, zum Beispiel, ist von Jahr zu Jahr immer mehr zu ihrem Markenzeichen geworden. Werner hat immer sehr viel ausprobiert, vor allem die Entwicklung seiner zarten Zeichnungen und Aquarelle war bemerkenswert. Selma hat sich in wenigen Jahren nicht nur technisch weiterentwickelt, sondern mit ihrer ganz speziellen Themenwahl, Alltägliches zu verzaubern, mich selbst auch verzaubert. Markus Kostka ist nicht nur bei dem geblieben, was er bekanntermaßen gut kann – Tierdarstellungen – sondern hat sich auch mit Hintergründen und Landschaften beschäftigt. Aquarell ist die schwierigste Maltechnik, da sie nicht korrigiert werden kann. Markus Kolp hat sich darin mit den Jahren zu einem echten Meister entwickelt. Die Palette von Thomas ist vielfältiger geworden. Und Waldemar, der erstaunlich flott ein Bild zaubern kann, nimmt sich mehr Zeit für die Gestaltung seiner Werke und das kreative Nachdenken. Lars hat sich immer wieder durch gegenwärtige Kunst anregen lassen und mit viel Mut zum Unbekannten sogar ein Buch geschrieben – diese Entwicklungen sehen und verfolgen zu können und vielleicht auch mit meinen Erfahrungen dazu beigetragen zu haben, macht mich zufrieden und froh.
Gab es in all den Jahren Workshop-Momente, die Sie besonders überrascht oder berührt haben?
Oh ja, ich erinnere mich an einige: Zum Beispiel, mit welcher bemerkenswerten Intensität Thomas uns überraschte, wenn er in nur vier Tagen drei Gemälde hinzauberte – voller Lebendigkeit, Licht und differenzierter Farben. Immer wieder gab es Momente, in denen mich Lars mit seinem augenblitzenden Charme beeindruckte. Ebenso Günni Holzapfel mit seiner Zehenfertigkeit, mit der er die kleinsten Öltuben öffnen konnte. Und Antje, die elegant ihren Kopf auf ihrem Fuß ablegt. Petra, wenn sie stolz und selbstbewusst ihr fertiges Werk präsentierte. Was hat mir Markus Kolp imponiert mit seinem Feuereifer, um eine heruntergelaufene Aquarellfarbe in die richtige Bahn zu lenken. Ach, da gäbe es so viel zu berichten und alles werde ich in meinem Herzen bewahren und vermissen.
Was planen Sie jetzt – welche neuen künstlerischen oder gestalterischen Projekte stehen bei Ihnen an?
60 Jahre lange habe ich intensivst gemalt, meine Bilder sind in der ganzen Welt verstreut. Eines hängt seit neuestem im Museum Ludwig in Köln, es ist bereits 52 Jahre alt. Ich freue mich jetzt, so viel zu unterrichten und meine Kenntnisse weiterzugeben. Menschen dazu anzuregen, sich kreativ auszudrücken, macht einfach Freude.