„Ich will kein Mitleid“

Über den Gründer der VDMFK

Es gibt Menschen, die es trotz großer Schwierigkeiten schaffen, ihr Schicksal zu meistern und große Dinge zustande bringen: Zu ihnen gehört Arnulf Erich Stegmann (1912–1984). Wenn wir auf sein Leben zurückblicken, sehen wir viele Hindernisse, die er scheinbar mühelos überwunden hat – und darüber hinaus auch noch eine weltweite Organisation gründete.

Der erste Schicksalsschlag traf A. E. Stegmann, als er zwei Jahre alt war und durch Kinderlähmung die Fähigkeit verlor, seine Hände zu gebrauchen. Schon früh begann er, mit dem Stift oder Pinsel im Mund zu schreiben und zu malen. Sein künstlerisches Talent und der unbändige Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit ermöglichten es ihm, an der Fachhochschule für Buchgewerbe und Grafik in Nürnberg zu studieren. Bereits mit 20 Jahren begann er, seine Künstlerkarten und Grafiken im Eigenverlag zu vertreiben, und konnte so von seiner Kunst leben. Die Themen seiner Bilder waren jedoch nicht immer für das breite Publikum geeignet, denn er malte recht sozialkritische Bilder. Diese Bilder brachten ihm 1934 eine 15-monatige Inhaftierung wegen staatsfeindlicher Bilder ein. Nach seiner Entlassung im März 1936 verließ er Nürnberg und zog nach Deisenhofen in der Nähe von München.

Die Zeit bis zum Kriegsende

Als er nach dem Gefängnisaufenthalt den Pinsel wieder in den Mund nahm, stellte er fest, dass sich seine starke Halsmuskulatur zurückgebildet hatte und er den Pinsel nicht wie bisher führen konnte. Es dauerte zwei Monate, bis er wieder denselben Leistungsstand wie vor seiner Inhaftierung erreicht hatte. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Stegmann unter Beobachtung der Nationalsozialisten, die ihm das Malen und Publizieren seiner Werke untersagten und ihn verfolgten. Anfang 1944 floh er nach St. Jodok am Brenner. Dort blieb er sechs Monate lang. Danach reiste er an den Bodensee weiter und von dort an den Chiemsee, wo er sich bis Kriegsende versteckt hielt. Er verbrachte die Zeit – trotz Verbots – mit Malen.

Neustart in Deisenhofen

Nach dem Krieg kehrte Stegmann wieder nach Deisenhofen zurück und heiratete in zweiter Ehe Traudl Billmeier, mit der er später zwei Kinder hatte. Während seiner Zeit auf der Flucht war ihm bewusst geworden, dass die Nachkriegszeit für ihn finanziell schwierig werden würde, denn wer hatte in dieser Zeit Geld für Kunst? Außerdem war das Papier knapp und er konnte keine Karten drucken lassen. Aber Not macht erfinderisch: Bei einem Schreiner ließ sich Stegmann kleine Holztafeln in Kartenformat anfertigen, auf denen er mit Bleistift das Bild vorzeichnete und anschließend kolorierte. So entstanden kleine Gemälde, die sich wunderbar in Souvenirläden an die amerikanischen GIs verkaufen ließen. 1948 gründete er den Dennoch-Verlag in Deisenhofen und konnte seine Arbeiten wieder auf klassische Weise vervielfältigen. Dank der finanziellen Unabhängigkeit konnte Stegmann sich seinen nächsten Wunsch erfüllen: Reisen. Wie viele andere Malerinnen und Maler war er von Italien fasziniert und bereiste mit seinem Fahrer und einem umgebauten Wohnwagen das Land so oft wie möglich.

„Weißt du, ich habe viel Glück." – Die Idee der VDMFK

An einem Tag im Jahr 1952 befand sich Stegmann in Burano in Italien und sagte zu seinem Assistenten: „Weißt du, ich habe so viel Glück. Ich kann mich und meine Familie selbst versorgen und nach Belieben verreisen. Aber was ist mit all den anderen Menschen auf der Welt, die behindert sind wie ich, die zwar Talent zum Malen haben, aber auf ihre Familien oder auf Sozialhilfe angewiesen sind, wenn sie überleben wollen? Wenn sie sich doch alle organisieren könnten!“ So entstand das Konzept, eine internationale Vereinigung von Künstlerinnen und Künstlern zu gründen, die mit dem Mund oder dem Fuß malen. Wichtig erschien ihm, dass die Mitglieder ein gewisses künstlerisches Talent vorweisen und sie von den Einnahmen des Verkaufs leben konnten. So begann Stegmann seine Talentsuche rund um die Welt. Die meisten Künstlerinnen und Künstler, die er besuchte, waren mit Stegmann auf einer Linie: Es komme nicht darauf an, wie das Bild entsteht, sondern einzig und allein darauf, dass künstlerische Ausdruckskraft zu erkennen sei. Die behinderten Künstlerinnen und Künstler wollten kein Mitleid, sondern Anerkennung für ihre Arbeit.

Die Gründung der VDMFK

Im Jahr 1957 wurde in Liechtenstein dann schließlich die „Vereinigung der Mund- und Fussmalenden Künstler“ mit 18 Mitgliedern gegründet. Stegmann wurde auf Lebenszeit als Präsident der Vereinigung gewählt. Die Suche nach Künstlerinnen und Künstler ging dabei stetig weiter. Bis zu Stegmanns Tod im Jahr 1984 gehörten der Vereinigung bereits 200 Mund- und Fußmalerinnen und -maler aus 37 Ländern an. Heute sind es nahezu 850 Künstlerinnen und Künstler in 77 Ländern, die in der Vereinigung organisiert sind.

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